Oh, welch Freud.

Kaum einer könnte das Thema Trauer besser einleiten als Sigmund Freud.
Heute werde ich Anlauf nehmen und etwas ausholen. Zum Einstieg wird es also theoretisch und wir sprechen über die Phasen der Trauer. Wieso ich jedoch die verschiednen Modelle für überholungsbedürftig halte, erfährst du im Finale von diesem Beitrag.

Trauerarbeit. Ein Begriff den Sigmund Freud, bekannt durch die Psychoanalyse, geprägt hat. Sie beschreibt den Prozess, in dem der Hinterbliebene sich vom Verstorben ablösen soll, in dem er alle Erinnerung noch einmal durchlebt und sich seinen Gefühlen dazu stellt. Nur, wenn das geschafft wurde, ist es möglich, sich ungehemmt einer neuen Liebe zu widmen. Uff. Ok, ich sollte erwähnen, dass sein Ansatz über 100 Jahre zurückliegt und weiterentwickelt wurde.
Doch Sigi hat gut erkannt und ist dem Begriff „Trauerarbeit“ zu entnehmen, dass wir Menschen Aufgaben benötigen, um uns weiterzuentwickeln. Wir ticken meistens lösungsorientiert. Das räumte Freud selbst ein. Denn Trauer ist in erster Linie immer der Prozess der Neuorientierung. Obgleich eine nahestehende Person stirbt, wir eine Trennung erfahren, oder wir einen ideellen Verlust durchleben – die eigene Liebe endet nicht plötzlich. Und im Falle eines Todes, habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich gar nicht möchte, dass meine Liebe endet.

Freud hat dennoch mit seinem Ansatz einen Stein ins Rollen gebracht und viele seiner Kollegen dazu animiert seine Gedanken weiterzuentwickeln. Neben John Bowlby, Yorick Spiegel, Elisabeth Kübler-Ross hat Verena Kast die Trauer anhand eines Phasenmodells beschrieben.
Zwar hat das 5-Phasen-Modell von Kübler-Ross (Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Annahme) etwas mehr Ruhm inne, doch möchte ich Dir einen Einblick über das Modell von Verena Kast geben. In ihrem Ansatz sehe ich Parallelen zu meiner Trauerverarbeitung und denke das sie einen gelungenen Einblick über die Entwicklung der Stimmungen vermittelt.

Ihr Ansatz gliedert sich in folgende vier Phasen:

  1. Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens
    V. Kast beschreibt in der ersten Phase die Beherrschung der tiefen Ungläubigkeit, wenn man erfährt, dass ein Mensch gestorben ist. Das Typsche „Nein, das darf nicht wahr sein“. Es gilt als Schutzreaktion, damit unser körperliches System nicht gänzlich von der Wucht an schmerzhaften Emotionen kollabiert. Menschen haben so die Möglichkeit, sich langsam an die Wahrheit heranzutasten. Daher kann die Dauer dieser Phase zwischen einigen Stunden bis hin zu einer Woche anhalten. Wichtig ist, an dieser Stelle zu erwähnen, dass noch einmal klar zwischen dem Realisieren von Verstand und Emotion unterschieden werden muss. Der Trauernde hat begriffen, dass die Person tot ist, welche emotionale Tragweite das hat, kann zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht bewusst sein.
  2. Phase der aufbrechenden Gefühle
    Phase zwei ist geprägt durch die Intensität der Emotionen. Verena Kast betont, dass diese Phase besonders individuell ist. Menschen, die in ihrem Wesen ängstlich oder impulsiv sind, werden wahrscheinlich Ihren Verlust auch durch Ängstlichkeit oder Aggression äußern. Dieser Zustand hält sich einige Monate konstant.
  3. Phase des Suchens und Sichtrennens
    Die dritte Phase beschreibt Verena Kast, wie das Tauziehen zwischen Verstand und Gefühl. Dem Trauernden ist der Tod bewusst, jedoch steigt immer wieder der Drang empor, den Verstorbenen zu suchen. So werden Orte besucht, an dem der Verstorbene gerne war, oft und wiederholend werden Gespräche über ihn geführt. Laut Kast neigt der Trauernde dazu, die Person zu idealisieren und Eigenschaften anzunehmen, die den gewohnten Wesenszügen seiner selbst widersprechen. Die Suche erfüllt ihren Sinn damit, dass der Trauernde in dieser Phase anerkennen muss, ohne die verstorbene Person weiter zu leben. Dabei werden das Vermächtnis und die Bedeutung des Verstorbenen in die neue Lebenssituation integriert.
  4. Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs
    In Phase vier hat der Trauernde den Verlust weitgehend akzeptiert. Das eigene Leben wird nun selbst gestaltet und nicht mehr am Verstorbenen orientiert. Der beherrschende Schmerz ist abgeklungen. Kast erwähnt, dass der Trauerschmerz dennoch wiederkehren kann. Ereignisse wie Geburts-, Todes-, und Hochzeitstage oder Weihnachten können hierbei der Auslöser sein. Auch die Suche nach dem Toten hört nie auf, so berichtet Sie von Trauernden, die selbst nach Jahren von den Verstorbenen träumen. An dieser Stelle kehren sie nicht in eine vorherige Phase zurück, sondern es zeigt lediglich auf, dass der Verstorbene ihnen noch immer etwas bedeutet. Kast sagt, dass die Beziehung zum Verstorbenen in den Trauerprozess mit einbezogen werden muss, damit der Trauernde ihn in eine Art inneren Begleiter verwandeln kann. Die Beziehung zum Verlorenen soll somit bestehen bleiben.

Heute ist deutlich, dass wir alle individuell sind und jeder anders trauert. Es fällt uns leichter, Sachverhalte zu verstehen, wenn sie in irgendeiner Form messbar sind. Durch Gleichungen können wir Stereotypen bilden, um so Verständnis aufzubringen. Egal ob empirisch fundiert, oder küchenpsychologisch erprobt, am Ende geht es darum, dass jeder für sich selbst einen Weg findet, wieder in den Gefühlszustand zu gelangen, in welchem wir uns wohlfühlen. Dabei können Einordnung, in welcher Form auch immer hilfreich sein.

So hatte ich zu jenem Zeitpunkt mein tröstliches Mantra, dass sich mein bedrückender, schwerer Gemütszustand wieder wandeln wird. Ich wusste, dass ich im Heilungsprozess bin, und konnte damit meine spontanen Gefühlsausbrüche bewusst für mich einordnen. Das war allerdings nicht alles.

Auf dem Weg der Trauer habe ich erkannt, dass zu den Hauptwerkzeugen die Reflexion gehört. Die Trauertheorien legen, wie das Phasenmodell von Verana Kast Ähnliches zu Grunde. Dabei steht leider meist nur die Abgrenzung zur verstorbenen Person und die damit einhergehende Neugestaltung der eigenen Lebensumstände im Mittelpunkt.

Der Mensch wird automatisch durch den Zustand der Trauer in die Situation gebracht, sich neu zu definieren. Im Ansatz geht es zwar darum, sich mit seinen Emotionen und den Umständen auseinanderzusetzen, alles unter dem, für die Psychologie typischen Ansatz, sich in irgendeiner Art zu reparieren. Zu trüb für meinen Geschmack.
Aufgefallen ist mir, dass Trauernde sich oft fragen: Wieso ist mir das passiert?; wie soll ich ohne die Person weiterleben?; wie soll es jetzt weiter gehen? ; wie soll ich das schaffen? Nur selten, stellen sich die Betroffenen die Frage: Warum trauere ich, wie ich trauere?

Ich bin der Meinung das es in diesem Prozess eben nicht nur um das Verhältnis und die Rollenverteilung zum Verstorbenen geht, sondern vor allem um die Beziehung zu sich selbst. Zu wissen und den Mut aufzubringen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sich zu fragen, warum wir handeln, wie wir handeln, kann an diesem Punkt Wunder bewirken. Zu wissen, was unsere inneren Antreiber sind, kann uns einen neuen Blick auf unsere Empfindungen geben.

Bist du beispielsweise jemand, der es liebt, andere zu umsorgen, der zum Wohle anderer gerne verzichtet, gerne hilft, fürsorglich ist, anderen lieber die Führung überlasst und vorsichtig Entscheidungen trifft. Dann wird sich deine Trauer zu jemanden unterscheiden, der angetrieben davon ist, gerne die Kontrolle und Führung zu übernehmen, zielorientiert ist und „weiß“, wo es lang geht.

Das heißt an dieser Stelle nicht, dass es Typ A oder B weniger nahegeht, dass die geliebte Person nicht mehr da ist. Es bedeutet nur, dass die Trauer anders empfunden wird, weil unser Motor anders zündet.

Das eben war nur eine Ambivalenz von vielen und ist immer damit gekoppelt, wie stark deine Ausprägung dahingehend ist. In meinen Beiträgen werde ich immer wieder darauf eingehen, damit sich dieses Gesamtbild für Dich verdichtet.

Heute belasse ich es dabei und lade Dich ein, Dir jetzt die Frage zu stellen – warum trauerst Du, wie Du trauerst, oder anders – warum fühlst du dich, wie du dich im Moment fühlst? Was konkret fehlt Dir gerade? Wichtig ist, dass es hier nur um dich geht, nicht um deinen Verlust!

Kannst du Dir die Frage beantworten? Wenn ja, dann wird es Dir mit Sicherheit leicht fallen, Dir die Antwort auf die Frage zu geben, was Du brauchst. Nicht global, sondern nur erst einmal für diesen Moment.

Das ist keine einfache Aufgabe. Ich weiß. Probier es gerne so oft Du möchtest aus und lass Dich von dem, was kommt, überraschen.

Am Ende noch einmal kurz zusammengefasst.
Der Tod eines geliebten Menschen geht nicht spurlos an uns vorbei. Das Leben danach ändert sich meist. Viele Ansätze versuchen, die Trauer in Schubladen zu stecken, um sie einordnen und verstehen zu können. Es geht dabei nicht darum, über den Verlust hinwegzukommen, sondern damit zu leben. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung, doch manchmal sind sie schwermütig und wir sehnen uns wieder nach mehr Leichtigkeit. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir uns mit uns beschäftigen sollten, um zu verstehen, was wir brauchen.
Dann erkennen wir bald, dass Trauer ein Beweis der Liebe ist.

Von Herzen für Dich,
Deine Luisa

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